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„Autoritär-populistischer Ernstfall“: Die GEW-Gewerkschaft bereitet Lehrkräfte darauf vor, dass die AfD ab Herbst die Schulen regiert

www.news4teachers.de /2024/06/autoritaer-populistischer-ernstfall-die-gew-bereitet-lehrkraefte-darauf-vor-dass-die-afd-ab-herbst-die-schulen-regiert/

Die AfD ist in Ostdeutschland derzeit die stärkste politische Kraft, wie die Europawahlen am vergangenen Wochenende gezeigt haben. Die Möglichkeit, dass nach einer der drei anstehenden Landtagswahlen dort die vom Bundesverfassungsschutz als „rechtsextremer Verdachtsfall“ (und in drei Bundesländern als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestufte) Partei ans Regieren kommt, rückt damit ins Blickfeld.

Die GEW Thüringen bereitet in Workshops Lehrkräfte schon mal darauf vor, dass das Bildungsministerium von der AfD übernommen wird.

Die Gewerkschaft spricht vom „autoritär-populistischen Ernstfall“ im Bildungswesen. Sie fordert Lehrkräfte auf: „Bereite Dich darauf vor, was ab Herbst im System Schule eintreten könnte!“

„Das Superwahljahr 2024 bringt viele Unsicherheiten mit sich – auch für Thüringen: Neue politische Parteien stellen sich zur Wahl, Prognosen weisen einen Zuwachs an Stimmen entlang der politischen Ränder aus und Lehrkräfte sind damit konfrontiert, sich damit auseinanderzusetzen, was eine autoritär-populistische Bildungspolitik für ihren beruflichen Alltag bedeuten könnte“, so heißt es zur Einleitung auf der Seite der GEW des Freistaats. Gemeint ist: was es bedeuten würde, wenn die AfD das Bildungsministerium übernehmen würde.

Das will die GEW nun Lehrkräften vermitteln – und bietet dafür Lehrkräften eigens eine Workshop-Reihe mit dem Titel „Resiliente Schulen zur Landtagswahl“ an. Darin geht es um Ergebnisse des „Thüringen Projekts“.

In dem hatte der Verfassungsblog, ein Fachforum von Verfassungsrechtlern, am Beispiel des Freistaats juristisch und politisch plausible Szenarien für die Machtübernahme einer Landesregierung durch die AfD durchgespielt und, so die GEW, „den legalistischen Spielraum für politische Instrumentalisierungsmöglichkeiten von Schulen geprüft“.

Konkret wird in der Workshop-Reihe gefragt: „Wie etwa können Konzepte wie der ‚Schulfriede‘ oder das ‚Neutralitätsgebot‘ genutzt werden, um die Rechtsunsicherheit in der Lehrerschaft für eigene Zwecke auszunutzen? Welche Lektionen können wir von den bildungspolitischen Entwicklungen aus der europäischen Nachbarschaft lernen?“

Das soll in den Veranstaltungen mit jeweils 25 Teilnehmenden beantwortet werden – um AfD-kritische Lehrkräfte für den Fall zu wappnen, dass sie von einem Bildungsministerium, das von Rechtsextremen geführt wird, gegängelt werden.

Referentinnen des Workshops sind Ilka Maria Hameister, GEW-Mitglied und Wissenschaftlerin am Lehrstuhl Didaktik der Politik der Uni Jena, sowie Marie Müller-Elmau, Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Verfassungsblogs mit Fokus auf Bildung.

„Das Neutralitätsgebot wird von der AfD gezielt fehlinterpretiert“, sagt Hameister gegenüber dem „Spiegel“. Viele Lehrkräfte seien verunsichert. „Wir möchten aufklären und Lehrkräfte ermutigen: Nutzen Sie die Aufgabe, die Schule in einer wehrhaften Demokratie hat. Das ist Ihre Dienstpflicht.“

Der Bildungsbereich, betont Müller-Elmau, sei in Deutschland besonders gefährdet. Erstens, weil die Länder die Kultushoheit hätten. Zweitens, weil sehr viel exekutiv gesteuert werde. Das heißt: „Die Verwaltung hat großen Einfluss auf die Lehrpläne.“

Viele der Vorschriften, die den Schulbetrieb regeln, würden – anders als Gesetze – nicht öffentlich im Parlament ausgehandelt, erklärt Mueller-Elmau. „Das macht es relativ gefährlich.“

So könne ein von der AfD geführtes Kultusministerium theoretisch „weitgehend unterm Radar“ umfangreiche Änderungen durchsetzen, Lehrpläne umschreiben – und so zum Beispiel die schon jetzt nicht sonderlich umfangreiche politische Bildung noch weiter zurückdrängen.

Die Kultusministerien beeinflussen auch, welche Schulbücher in Schulen eingesetzt werden dürfen.

„Schülerinnen und Schüler haben im Hinblick auf die Unterrichtsgestaltung relativ wenig Rechte“, sagt Mueller-Elmau. „Sie können vor Gericht etwa nicht erstreiten, dass ihnen bestimmte Inhalte vermittelt werden.“

Stattdessen könnte die AfD im Unterricht auf AfD-nahe Werte drängen, die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau etwa.

Eine Pädagogik, die Kinder und Jugendliche für Geschlechterstereotype sensibilisiert, wird von der Partei in ihren Programmen als „Gender-Ideologie“ verteufelt.

Wohin die AfD inhaltlich zielen könnte, hatte der sächsische Landesverband unlängst mit einer von ihr auf Instagram verbreiteten Grafik deutlich gemacht (News4teachers berichtete).

Eine darin positiv dargestellte „tradiotenelle Frau“ (Schreibfehler im Original) habe eine „schlanke Figur durch Sport und gesunde Ernährung“, sie liebe ihre Heimat, sei stolz für ihre Kinder zu leben und unterstütze ihren Mann. Die Erziehung und Bildung der Kinder verstehe sie als ihre „erste Pflicht“.

„Moderne ‚befreite‘ Feministinnen“ hingegen (dargestellt wird eine übergewichtige Frau im kurzen Top und in Hotpants, mit Tattoo und bunten Haaren) trügen „Tonnen von Make-Up wegen ihres geringen Selbstbewusstseins“. Sie seien ungepflegt, hätten „einen schlechten Lebenswandel“, „kaputte Haare von zu viel Färbung“, wechselten häufig ihre Partnerin oder ihren Partner und seien im Alter von 22 Jahren stolz auf ihre dritte Abtreibung.

Die stolzen Krieger der AfD haben den Post inzwischen gelöscht. Wurde aber natürlich archiviert.

https://archive.ph/cRG0C

Felix Hanschmann, Jurist und Professor für Kritik des Rechts an der Bucerius Law School in Hamburg, machte unlängst im Deutschlandfunk Nova deutlich, was es bedeuten würde, wenn das Bildungsministerium in Erfurt der AfD in die Hände fiele.

„Politikunterricht, Geschichtsunterricht, Ethik – das sind alles Bereiche, in denen rechtsextreme Kreise Einfallstore sehen, um Kinder zu indoktrinieren.“

Hanschmann sagt, es würde ihn nicht überraschen, wenn die AfD in Thüringen das Kultusministerium übernehmen würde – selbst wenn sie dort nur als Koalitionspartner in Regierungsverantwortung kommen sollte. Höcke selbst lässt immer wieder sein Interesse an der Bildungspolitik erkennen.

Bereits 2017 hatte der für sein Abgeordnetenmandat freigestellte Geschichtslehrer mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin erklärt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Höcke befand, bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der „eines brutal besiegten Volkes“. Im Wortlaut: „Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, …vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt…, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht.“

Im vergangenen Jahr kündigte Höcke an, das „Ideologieprojekt Inklusion“ beenden zu wollen – dass er also behinderte Kinder wieder wie früher in Sonderschulen schicken lassen will (ungeachtet der in Deutschland gültigen UN-Behindertenrechtskonvention).

Er sprach in diesem Zusammenhang von „Belastungsfaktoren“, die man „vom Bildungssystem wegnehmen müsse“.

Die Gewaltfantasien nehmen zu.

Auch Migrantenkinder, so eine Idee aus mehreren AfD-Landesverbänden, sollten vom Regelunterricht ferngehalten werden.  „Weil immer wenn Sie zwei Flüssigkeiten zusammenschütten, dann erhalten Sie irgendwo eine Mischung“, so begründete das der bayerische AfD-Spitzenkandidat Martin Böhm (News4teachers berichtete auch darüber).

Herr Böhm (AfD) ist also gegen eine „Mischung“ von „Menschenrassen“. Wer hätte das nur erahnen können? Ganz normale Partei.

Der sympathische Mann warnt übrigens auch vor einer „kriegssüchtigen Elite abgehobener Globalisten“. Ich wundere mich, wen er mit „Globalisten“ meinen könnte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Böhm_(Politiker)

https://www.gra.ch/bildung/glossar/globalist/

„Welche Bücher die Schüler*innen dann in Thüringen in Deutsch lesen – ob das Bertolt Brecht ist oder Ernst Jünger – und welche Ausflüge es geben wird – fährt man zum Hermannsdenkmal oder in ein ehemaliges Konzentrationslager – all das sind Entscheidungen, die im Kultusministerium und in den Schulen getroffen werden und nicht im Parlament“, so warnt der Jurist Hanschmann.

„Die Schule ist der Bereich, in dem Regieren auf Mentalität, auf Denken trifft. Und wenn eine rechtsextreme Partei das Kultusministerium hat, dann wird sie versuchen, die Schule im Sinne ihres rechtsextremen Denkens zu verändern.“

Vier Veranstaltungen der Workshop-Reihe sind bereits gelaufen; sie waren allesamt ausgebucht. Eine fünfte steht noch aus. Informationen dazu gibt es hier.

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