Wissen Sie, was ein Dreiseitenkipper ist oder raumübergreifendes Großgrün? In Behörden gehören Formulierungen wie diese zum Alltag. Blöd nur, dass Sie keiner versteht. Im Interview mit ntv.de erklärt der Autor Lorenz Meyer, warum der Staat seine Sprache dringend überdenken sollte.
Haben Sie ein Lieblingswort auf Amtsdeutsch?
Ich finde alles im Zusammenhang mit dem Garten toll. Wenn Sie zum Beispiel einen Garten hätten, dann würden Sie unter Spontanvegetation, also Unkraut, leiden. Vielleicht hätten Sie auch eine nicht lebende Einfriedung, also einen Zaun. Statt einer Schubkarre würden Sie einen Dreiseitenkipper benutzen und statt Kartoffeln würden Sie subterritoriale Knollengewächse anbauen. Wenn Sie Glück haben, haben Sie sogar eine Hütte, vielleicht mit einer kleinen Treppe. Die heißt dann allerdings höhenmetergewinnende Stufenanlage.
Vielleicht hätten Sie auch eine nicht lebende Einfriedung, also einen Zaun.
Tja, das zeigt sehr schön, warum "einfach alles einfacher machen" auch nicht funktioniert: ein nicht lebende Einfriedung könnte auch eine Mauer sein, und schon hat man einen Stapel Gerichtsverfahren, weil niemand weiß, ob zwischen Mauer und Zaun absichtlich unterschieden wurde oder nicht. Und wenn man "Zaun oder Mauer" schreibt, muss man sich sicher sein, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt (und geben wird) und verkompliziert gleichzeitig die Satzstruktur, weil man bei vielen "oder" im Satz irgendwann nicht mehr weiß, welche wie zusammengehören.
Die Tatsache das der Staat sich anmaßt auf Privatgrund so etwas wie einen Zaun, eine Mauer oder eine Hecke so zu regulieren das es einer Unterscheidung bedarf ist das eigentliche Problem.
Vielleicht hätten Sie auch eine nicht lebende Einfriedung, also einen Zaun.
Oder eine Mauer. Sind jetzt nur Zäune erlaubt oder verboten oder auch Mauern? Was ist mit akternativen, die den selben Zweck erfüllen (und alle als nicht lebende Einfriedung definierbar sind) aber weder Zaun noch Mauer sind?
Oder wie wäre es wenn wir nur lebende Einfriedungen, also Hecken, verbieten. Dann pflanz ich halt separate Büsche dicht nebeneinander, weil das ja dann keine Hecke ist.
Und wo wir gerade dabei sind: Definiere mir Unkraut. Sind die Wildblumen, die ich in meinem Blumenkasten gesät habe, Unkraut? Oder nur deren Ableger auf der gepflegten Wiese meines Nachbarn? Wo ist der Unterschied? Achja... die einen sind spontan und dort unerwünscht gewachsen.
Die Frage ist nicht, warum sich der Staat so ausdrücken darf, sondern warum er das muss.
Vorgänge rechtssicher zu machen. Man will mittels der Sprache alle Eventualitäten einschließen. Das ist wie auf dem Beipackzettel der Kopfschmerztablette. Wenn irgendwo in einem abgelegenen Dorf jemand nach der Einnahme der Tablette plötzlich das Bedürfnis verspürte, in Gummistiefeln zu schlafen, dann wird das sicherlich im Beipackzettel als mögliche Nebenwirkung erwähnt. Bei Gesetzen und in der Behördensprache führt das jedoch manchmal ins Absurde - zum Beispiel, wenn aus einem Baum ein raumübergreifendes Großgrün wird.
Was müsste passieren, damit Amtssprache verständlicher wird?
Es bräuchte ein Umdenken. Beamtinnen und Beamte sind es nicht gewohnt, selbst Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen um Gottes willen keine Fehler machen. Das müsste sich ändern, diese Angst müsste verschwinden. Es müsste sich eine neue Praxis mit einer neuen Fehlerkultur entwickeln. Das ist reine Übungssache.
Das trifft doch nicht nur auf die Beamten zu. Auch viele Bürger wollen gerne alles ganz genau haben, um sich für jede Kleinigkeit auf amtliche Dokumente berufen zu können, zumindest so lange es sie selbst betrifft.
Teil einer neuen Fehlerkultur wären also auch die Akzeptanz der Bürger, dass solche passieren. Dafür braucht es allerdings auch die entsprechende Toleranz und der Wille sich ggf. auch mal außerhalb von Gesetzen und amtlichen Entscheidungen zu einigen.
Hier nur auf die Ämter zu schimpfen greift mMn zu kurz. Die komplexe Gesetzeslage ist auch eine Folge der gesellschaftlichen Erwartungen. Dementsprechend müssen diese ebenso verschwinden, damit die Ängste folgen können. Nur auf Beamte zu zeigen greift da zu kurz.
Da muss ich gleich an den Scheiß denken, den z.B. das Katasteramt aller paar Jahrzehnte durchzieht. Durch genauere oder angepasste Messtechniken, stellen die dann reihenweise in Siedlungen fest, dass Grundstücksgrenzen falsch sind. Also müssen Flächen übertragen oder gar umgebaut werden (Zäune und Hecken verschoben, Einfahrten geändert, etc).
Anstatt einfach zu akzeptieren, dass die Eigentümer jetzt so seit Ewigkeiten leben und damit offenbar jedwede potenzielle Ungenauigkeit impizit akzeptiert haben.
Sollen sie halt die Pläne der Realität anpassen. Aber nein, die Pläne sind wichtiger. Also muss die Realität weichen.
Man müsste den gesamten Verwaltungsapparat mal umdenken. Es fällt mir immer mehr auf, dass "der Staat" nicht guckt, wie können wir das vorliegende Problem lösen? Sondern immer nur versucht, Schritt für Schritt alles in das gegebene Schema zu pressen.
Dadurch kommt dann auch diese Sprache raus, weil jeder nur seinen kleinen Teil des Sachverhalts sieht und sich dort maximal absichern will.
Wem. Du für alles verklagt wirst und dein Dienstherr dich ungebremst ins Messer laufen lässt wirst du natürlich versuchen dich möglichst weit abzusichern.
Auf dem Finanzamt wird auch zu Unrecht rumgehackt. Mit Elster haben sie aber sicherlich die in Deutschland mit Abstand beste staatliche digitale Schnittstelle im Angebot inkl. automatischer Übernahme der Daten aus der Jahressteuerbescheinigung und Ausfüllhilfe. Damit sollte jeder Angestellte seine Steuererklärung ohne Steuerberater hinbekommen.
Ich versteh das Problem nich. Man will halt möglichst genau und rechtlich sicher formulieren. Dann muss man halt mal den ein oder anderen Begriff googeln, damit man weiß, was gemeint ist - halte ich für deutlich weniger nervig als die zahllosen potentiellen Rechtsstreits, die auf diese Weise umgangen werden.
Amtsdeutsch ist halt genau das: Da sind die Begriffe genau definiert und eben nicht umgangssprachlich etabliert. Deshalb kann, man darf sogar nicht anders schreiben.
Was es bräuchte wäre bei den kleinen [?] neben dem Text normale Umgangssprache, die das erklärt.
Wozu die Situation im Moment führt ist, dass Leute gerade aus der Mittel- und Unterschicht nicht wahrnehmen, was sie könnten und nicht bekommen, was ihnen zusteht. Oftmals weil sie sich schon nicht trauen, andererseits aber eben auch weil sie Fehler machen und sich keine professionelle Beratung leisten können.
Wenn man seelisch oder geistig behindert sein muss (mit Attest in dreifacher Ausführung), bevor man Anspruch hat, dass Behördendeutsch in verständliche Sprache übersetzt wird:
Geregelt ist die Verwendung von Leichter Sprache durch Träger öffentlicher Gewalt durch eine Erweiterung des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG), die zum 1. Januar 2018 in Kraft trat.
§ 11 BGG zu Verständlichkeit und Sprache gilt auch für die Sozialverwaltung und die Ausführung von Sozialleistungen (vgl. SGB X § 19 Absatz 1a und SGB I § 17 Absatz 2a).
Behörden und Übersetzungen in Leichte Sprache
Auf Nachfrage müssen Menschen mit seelischen oder geistigen Behinderungen folgende rechtliche Dokumente in verständlicher Sprache erklärt werden:
Der Umfang der zu leistenden Erklärung hängt von den Bedürfnissen des jeweiligen Betroffenen ab. Eine Übersetzung in Leichte Sprache soll bei Bedarf auch schriftlich erfolgen.
Und die Menschen, die darauf ein Anrecht hätten und es auch brauchen würden, wissen oft nichts von ihrem Recht, so dass kaum je jemand Gebrauch davon macht.
Mal völlig losgelöst vom Inhalt: Wie führt denn bitte der Journalist sein Interview? Der legt ihm doch schon mit der Frage die nötige Antwort in den Mund. Und dann auch sowas:
Ich fürchte, das dauert noch ein wenig.
Das ist ja nicht mal mehr eine Frage. Etwas neutraler formulieren wäre schon angebracht. Ich hab weniger den Eindruck, dass der Autor mit seinem Buch vorgestellt wird, als dass hier ne Agenda gepusht wird. (Wobei natürlich wahr ist, dass Behördendeutsch zum kotzen ist. Mir geht es um den Stil des Interviews.)